Die Idee von Natur und ihre Darstellbarkeit

Alles fließt
Die Neugier auf Neues . . .


Textreihe
. . . Ich hatte das Gefühl sagen zu müssen . . .

.....Ich hatte das Gefühl sagen zu müssen, was ich sah, und ich empfand es als äußerst wichtig, zu vermeiden, etwas zu bewerten. Es kam darauf an einfach wahrzunehmen.
Ich musste mich davon befreien, die Dinge in einer bestimmten Art und Weise zu betrachten, und fähig werden unvoreingenommen zu beobachten, was vor sich ging. Ich hatte keine Kathegorien. Wenn sie von vornherein schon mit bestimmten Kathegorien an die Dinge herangehen, sehen sie die Dinge schon durch eine bestimmte Brille. Und auf diese Weise werden sie den Dingen nicht gerecht.


Das natürliche Ding, z.B. dieser Baum da, ist mir durch einen unaufhörlichen Strom von Andeutungen, "Abschattungen" gegeben. Diese Umrisse, durch die hindurch sich das Ding abzeichnet, sind Erlebnisse, die sich durch den Modus der Achtsamkeit auf das Ding beziehen. Die Sache ist wie ein "Identisches", das mir durch fortwährende Modifikationen gegeben ist, und gerade durch die notwendige Unbestimmtheit meiner Dingerfassung ist es ein Ding für mich.


Die geheimnisvollen Wirklichkeiten, die sich unseren Sinnen entzogen: die Naturkräfte, die Planeten, die Moleküle, die Wellen waren ein weiteres, riesiges Nichts, aus dem uns unsere Unwissenheit entgegensah und das wir unter Worten zu verstecken suchten. Niemals würde uns die Natur uns ihre Geheimnisse ausliefern: sie hatte keine Geheimnisse: wir waren es selbst, die Fragen erfanden und Antworten formulierten, und niemals würden wir auf dem Grund unserer Retorten etwas anderes entdecken als unsere eigenen Gedanken; diese konnten sich im Laufe der Jahrhunderte vervielfältigen, verwickeln, immer umfassendere und ausgeklügeltere Systeme bilden, aber niemals würden sie mich mir selber entreißen können. Ich hielt mein Auge nah ans Mikroskop; immer würde alles durch mein Auge gehen und durch meine Gedanken; nie würde etwas anders sein; nie ich ein anderer.


. . . Ein Wesen das mit einem vollkommenen Aufnahmeapparat ausgestattet wird und seine Umgebung jeden Augenblick genau registrieren aber nicht extrapolieren kann. Wie könnte
so ein Wesen je eine Strasse überqueren, ohne in Gefahr zu sein, überfahren zu werden.


Wenn die Natur nur unter den Prämissen unserer Zeit- höher, schneller, weiter- betrachtet wird, gehen wesentliche Aspekte verloren. Diese Oberflächlichkeit wird der Vielschichtigkeit der Natur nicht gerecht. Wers ausprobieren will setze sich mal für eine Stunde an einem Waldrand ins Gras oder auf einen Baumstamm und versuche dann zu begreifen was ihn umgibt.
Die Gräser, Stämme und Zweige sind einfach da, auch ohne uns. Die Vielschichtigkeit eines Quadratmeters Welt kann dort bestaunt werden. Da bringt uns unser Halbwissen über biologische Zusammenhänge nicht weiter. Dieser Moment bietet uns die Gelegenheit einen so veralteten Begriff wie Demut erinnert zu bekommen. Plötzlich nehmen wir uns selbst wahr; es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir sind es aber nicht gewohnt so auf uns selber zurückgeworfen zu werden. Wir beginnen zu begreifen, wir sind Teil des uns Umgebenden, Teil der Natur.


Zitat 1
aus: Kontextuelles, Fragen an Virginia Satir, anlässlich eines Symposiums für Familientherapie, Osnabrück 1986

Zitat 2
aus: Jean-Francois Lyotard, Die Phänomenologie

Zitat 3
aus: Simone de Beauvoir, Alle Menschen sind sterblich

Zitat 4
aus: Ernst H. Gombrich, Ornament und Kunst
extrapolieren = einschätzen, vorausschauen, vorherwissen

Zitat 5
aus: Elmar Mauch, Tagestext, 6. Januar 2007